BRATWURSTSUSHI

Geschichten eines Ehehausvaters in Japan

Bratwurstsushi

Man lese dies:

In Japan kann Mann noch richtig leben – Über die Rolle der Frau und mein Leben als Patriarch

Vorort der Welt

Zehntausend Geschichten

Ginger Ale – Monolog

Deprecated Houseguy

Out, oh house!

Das Ding

Deudok, Daube & Dett

Tennisplatz der Verdammten

Die Ruhe vor dem Sturm

Goodbye, Tokyo-Baby!

Man sei sich auch gewahr:

Erpressum

Kurzmitteilung

Vorort der Welt

Japan – Du fremde Wunderwelt. Wie wenig ähnelst du doch meiner Heimat. Alleine deine Natur lässt mich staunen. So höre ich seit einigen Tagen jeden Abend einen Ton, der mich stark an die Trillerpfeife eines Schiedsrichters erinnert. Aber immer erst nach Einbruch der Dunkelheit, wenn vom nahe gelegenen Sportplatz nichts mehr ausgeht außer Hitze und Staub.

Es muss etwas im angrenzenden Park sein. Ein Vogel vielleicht, der seine Brut mit der Melodie eines Freistoßes oder einer gelben Karte ins Bett singt. Was für ein fantastischer Zufall! Zugegeben, auch bei uns gibt es Vögel, die Einen unwillkürlich zum Handy greifen lassen, aber eine Fußballtrillerpfeife aus einem Palmenhain an der Pazifikküste wirkt auf mich doch befremdlicher als der Nokia-Klingelton aus einer Platanenallee am Rhein. Nachdem ich dem unbekannten Vogel (ich habe ihn kurzerhand „Schiri“ getauft) zwei Abende lang gelauscht hatte, beschloss ich am dritten, ihm mit meinem kleinen Richtmikrophon auf die Schliche zu kommen oder zumindest als Beweis für mein Erlebnis eine Aufnahme seines Gesanges zu ergattern. Vielleicht handelte es sich ja sogar um eine noch unentdeckte Art, die bislang noch kein Wissenschaftler identifiziert hat? In Mie streifen gewiss nur wenige fußballaffine Ornitologen durch die nächtlichen Stadtparks. Was wäre das für eine Sensation! Ein ewig anpfeifender Vogel! Das ultimative Maskottchen und gleichzeitig der missing link zwischen Sport- und Vogelschau. Mit meiner Entdeckung könnte sich die Fankultur des so beliebten Ballsportes auf der ganzen Welt für immer verändern. Fußballclubs würden an spielfreien Wochenenden Wanderungen ins Grüne organisieren. Die Vuvuzela würde der Lockpfeife Platz machen und in vielen Stadien würden die Stammplätze gesperrter Hooligans zu Nistplätzen für Weißstörche und Mauersegler umgerüstet. Und das alles dank mir und meinem vortrefflichen Gehör, dass sich durch nichts und niemand in die Irre führen lässt!

Gerade schließe ich hinter mir die Haustür, schon ganz geblendet von meinem güldenen Standbild in den Ruhmeshallen der Fußballgeschichte, da begegne ich meiner Vermieterin, die gerade mit ihrem spätabendlichen Aufguss des Vorgartens beschäftigt ist.

Guten Abend.“ begrüßt sie mich freudestrahlend auf Englisch. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht gestört? Ich gucke zur Zeit die Landesmeisterschaften der U21 und mein Fernseher war gestern wohl doch ein bisschen laut.“

Japan – Du fremde Wunderwelt. Wie sehr ähnelst du doch meiner Heimat.

Vorort der Welt

Zehntausend Geschichten

Ich vermisse dich und doch fehlst du nicht.

Dafür hast du mir zu viel gegeben.

Allein deine Geschichten. Die Zehntausend Geschichten, die es noch festzuhalten und zu erzählen gibt. Da wären zum Beispiel:

Die Geschichte vom Tanz der Pipiindiander.

(Roman)

Die Geschichte der betenden Babschpfoten.

(Erzählung)

Die sich ständig faltenden Hänge der Papa-Berge.

(Roman)

Die Geschichte des weckrufenden Katers und seiner Liebe zu kracheligen Brötchen.

(Erzählung)

Die Geschichte vom Schnitz – Über das fliegende, flache Tier, dass sich mit Semmelbröseln fangen lies. (Kurzgeschichte)

Wie meine Kinder Harry Potter lasen bevor es cool war

(Erzählung)

Viele Geschichten wären auch gut als Sachbücher durchgegangen. Ich denke da an:

Kulinarische Wanderschaft – Über die Essbarkeit sämtlicher Tiere am Wegesrand mit null bis fünf Beinen

Die Fünf-Monats-Geburt – Humor in der katholischen Biologie

Tausend Seiten mit 8 und 11 – Mit Kindern Bücher lesen bevor sie sie verstehen

Wie man überall mit dem Zug hinkommt. Nein, wirklich: ÜBERALL!!!

James Bond in der Grundschule – Prädikat Wertvoll für die kindliche Abendunterhaltung.

Die korrekte Aussprache der Dinge – Oder: Warum Sie euch in der Grunzschule alles immer falsch beibringen.

Fahrpläne als Bettlektüre – Oder: Die Witze im Kursbuch der Deutschen Reichsbahn.

Die Herren und Damen aus dem Kindsvolke – Ehrentitel für Minderjährige

Katzen und Binär – Quantenmechanik und Pelzträger

Und dann die Geschichten, die ich selbst durch dich erzählen kann:

Angst und lieb haben

(Roman)

Ich kam, sprach und keiner verstand mich

(Roman)

Wie ich mit Elf begann Abschied zu nehmen

(Roman)

Felsenväter

(Roman)

Aber noch atmet er

(Erzählung)

Von einem der Auszog, weil er bleiben wollte

(Roman)

Man ist nicht satt, nur weil man platzt

(Kurzgeschichte)

Gucken wir noch nen Schirm?

(Erzählung)

Wie ich deinen Kühlschrank im Rollstuhl heimfuhr

(Kurzgeschichte)

Und das Grab roch nach Rosmarin

(Epitaph)

Und so viele Sachbücher, die ich noch schreiben muss:

Trilinguale Erziehung – Deutsch, Japanisch, Papanisch

Grabeisenbahnen – Stiefmütterchen, Efeu und Spurweite 1

Pat.Ges.W. – Ein Generationenprojekt

Papa, du einstigster aller Väter, erst wenn all deine und unsere Geschichten so erzählt und geschrieben habe, wie es ihnen gebührt. Erst dann kann ich sagen, dass du wahrhaft fehlst.

Wir sehen uns.

Zehntausend Geschichten

Ginger Ale – Monolog

Ich weiß du bist müde.

Ich weiß du willst schlafen.

Aber ich brauche deine Hilfe, Papa.

Es ist sehr wichtig.

Schau, ich hab versucht Ginger Ale anzusetzen.

Und ich habe mich genau an das Rezept gehalten.

Doch die Gärung lief irgendwie nicht wie erwartet.

Das Gebräu ist zwar süß, scharf und voller Kohlensäure aber

es stinkt auch nach faulen Eiern.

Ich weiß nicht was ich falsch gemacht habe. War die Flasche nicht sauber? War es die falsche Hefe?

Hatte ich zu wenig Zucker oder ist der Ingwer schon alt gewesen…

Papa?

Papa, konzentrier dich. Es geht um Ginger Ale.

Gut, du hast nie welches angesetzt. Aber Fassbrause. Du weißt doch, wie man Fassbrause macht!?

Das ist doch so ähnlich, oder?

Papa, bitte. Guck dir mal das Rezept an. Ein Viertel Teelöffel Hefe zu 225 Gramm Zucker, kommt das hin?

Ich glaub ich hab Gelierzucker genommen. War das falsch?

Nur ganz kurz. Schau es dir doch an. Du wirst wissen was zu tun ist.

Du weißt es doch immer. Du weißt wie man würzt. Du weißt wie man mariniert.

Keiner lässt Steaks so schön abhängen wie du.

Ohne dich könnte ich heute nicht kochen.

Ohne dich könnte ich nicht…

Papa?

Schön, wenn du mir nicht hilfst, dann trink ich die Brühe eben so.

Auch gut.

Schöne, überzuckerte Ingwerplörre mit einer Note Biomüll.

Methanol ist bestimmt auch drin, dann muss ich mir den Fusel wenigstens nicht bis zum Schluss ansehen.

Und weißt du was, Papa? So mach ich das jetzt immer. Jeden Freitag klopp ich mir nen schönen 2-Liter-Flacon Knollendröhnung und zieh mir den dann am Sonntag genüsslich rein.

So muss das.

Und nicht allein. Nein. Kind und Kegel kriegen auch was davon. Achwas, MÜSSEN auch davon trinken.

Und wenn meine Frau dann fragt: „Ist das wirklich Ginger Ale?“

Sag ich: „Ja Schatz, das ist astreines Ginger Ale. Pass auf, dass du die Stücke nicht verschluckst.“

Und mein Sohn wird dann auch lernen wie man Ginger Ale macht.

Ist ja ein altes Familienrezept.

Und wehe sie schmeckt nicht nach faulen Eiern!

Das werde ich machen, Papa. Und bald wird man uns überall kennen als die Familie mit dem Ginger Ale. Die mit dem berühmten Ginger Ale. Es soll ja magische Fähigkeiten haben, heißt es. Wer es trinkt soll hundert werden, heißt es. Oder sofort verrecken.

Willst du das? Willst du, das wir alle hundert werden, weil wir übelriechendes Ginger Ale trinken?

Nein?

Was willst du dann?

Papa?

Papa…

Ich verstehe, Papa.

Sei mir nicht böse, ich bin nur so gewohnt, dass du…

…ja, Papa.

Ich werde mir was ausdenken. Ich schaff das bestimmt auch allein.

Nein Papa, mach dir keine Sorgen. Ich schaff das.

Ich dich auch Papa.

Ich lass dich jetzt in Ruhe.

Du bist ja müde.

Du musst schlafen.

 

Gute Nacht Papa.

Ginger Ale – Monolog

Deprecated Houseguy

Das Versagen hat eine Gestalt. Es hat sogar einen Geruch. Und es dampft.

Seit Minuten schon sitze ich vor ihm und versuche ihm seine Macht über mich abzusprechen. Will mir einreden, dass dies dort nicht mein Versagen sein kann. Nein, mein Versagen sieht nicht so aus. Mein Versagen, das wären brennende Stahlträger die unter Ächzen und Stöhnen in sich zusammen fallen. Mein Versagen, das wäre eine rote Zahl auf dem Display des Bankautomaten, die nur mit Zeilenumbruch dargestellt werden kann. Mein Versagen, das sind Völkerscharen verlorener Seelen die auf die Knie fallen und schreien: „Warum nur? Warum lässt du so etwas zu?“ DAS wäre das richtige Versagen für mich.

Aber ich belüge mich selbst. Dort steht es, mein Versagen. Und es dampft.

Ich greife zu den Essstäbchen. Es dauert sehr lange, bis mein tonnenschwerer Arm das kleine Schälchen erreicht. Ich nehme mit den Stäbchen eine Probe, bedacht darauf es weder zu zerdrücken noch fallen zu lassen, und schwenke meinen Arm langsam wieder zurück. Ich halte mir das Etwas vor die Augen. Das Etwas blickt mich an. Es lacht. Nicht zynisch. Nicht boshaft. Es lacht einfach. Es hat das Gesicht eines Pandababys. Eine lachenden Pandababys. Die Verkörperung meines Versagens ist ein knapp fünf Zentimeter großes Onigiri mit kleinen Schnipseln aus Nori in Form eines lachenden Pandababys. Ich stecke mir das Baby in den Mund bevor es sein Lachen auf meine Netzhaut brennen kann und beisse zu. Der Reis ist saftig, weich aber nicht schleimig. Das Nori ist würzig und trocken. Wirklich lecker. Eine Träne entreißt sich dem See meines linken Auges, stürzt sich über die Kante des unteren Lids und fällt, ohne viel Kontakt zu meiner Wange aufzubauen, in meinen geöffneten Mund. Ah, Salz! Das hatte noch gefehlt.

Weinend und kauend, kauend und weinend betrachte ich die Schälchen vor mir. Fünf niedliche Keramikschälchen. Jedes gefüllt mit einer anderen Köstlichkeit, die meine Frau gestern Abend, obwohl kränklich, überarbeitet und todmüde, für unseren Sohn gekocht hat, der heute sein erstes Picknick mit seiner Kinderkrippengruppe (Kinderkrippengruppe, Kinderkrippengruppe, Kinderkrippengruppe…) macht. Auf dem Zettel hieß es: Er brauche einen Rucksack, gute Kleidung, was zu trinken und ein Bento.

Diese Anweisung hatte meine Frau zum Anlass genommen, nicht nur den niedlichsten Kleinkinderrucksack zu kaufen, der sich auftreiben lies (Eisenbahnmotiv, die Frau versteht Männer), sondern auch eine sündhaft teure Trinkflasche im schrillen Pink. Ein Besteckset, etwa halb so groß wie meine Hand mit dem Ampaman-Emblem, hatte meine Schwiegermutter schon vor zwei Wochen bereit gestellt. Ich musste am Morgen des großen Tages lediglich das Kind an seinem neuen Rucksack befestigen, diesen mit den Nahrungsmitteln füllen ohne dabei die vorgeschriebene Nutzlast zu überschreiten (sonst hätte sich mein Kleiner alle paar Schritte recht unsanft hingesetzt) und das Ensemble heil und ohne Druckstellen in die Kinderkrippe verfrachten. Das hatte ich getan, war wieder heimgefahren und hatte mich über die Reste der Sondernahrung her machen wollen. Doch eine nagende Erkenntnis hatte sich seit gestern durch das faule Geäst meiner Großhirnrinde gefressen und war derart gewachsen, dass es drohte meine Sehnerven abzuklemmen:

Diese ganze Aktion. (Rucksack und Besteck kaufen, Essen kochen und herrichten…) Das wäre eigentlich mein Job gewesen. Schließlich hatte meine Frau mit ihren 10 Stunden Arbeit an sechs Tagen der Woche sowie ihren zahlreichen freiwilligen Sonderschichten und Lernphasen mehr als genug zu tun. Was muss ich ihr diese Arbeit dann auch noch überlassen, wo ich doch die Hausfrau…DER Hausmann bin?

Fakt ist, es hat mich nicht interessiert. Ich hätte dem Kind irgendeinen Rucksack gekauft. Irgendwas billiges von Aeon wo ich auch einmal die Woche Lebensmittel einkaufe. Ich hätte ein bisschen Gemüse gekocht, ein paar Streifen Schweinefleisch, Würstchen und ein Rührei gebraten, hätte alles irgendwie in eine Dose gestopft und nicht weiter darüber nachgedacht. Wer weiß wie oft ich das noch machen muss. Spätestens mit der Einschulung fünf mal die Woche. Was soll ich mir da die Arme rausreißen?

Und doch, was meine Frau da geschaffen hat, macht dieses Kinderkrippengruppenpicknick (Kinderkrippengruppenpicknick, Kinderkrippengruppenpicknick, Kinderkrippengruppenpicknick) zu etwas Besonderem. Warum also, ist es mir so egal? Weil ich Deutscher bin? Bei uns obsiegt in der Küche doch stets die Quantität über die Qualität (zumindest beim Fleisch). Oder ist es, weil ich ein Mann bin und damit von der Gesellschaft tendenziell eher zum Brötchendiener erzogen denn zum Nestbrüter?

Ich wäre doch niemals auf die Idee gekommen, dass man einem Reisbällchen auch ein Gesicht verpassen kann? Dafür gibt es übrigens in jedem Kaufhaus oder 100-Yen-Laden Ausstecher und Formen zu kaufen mit denen man Thomas die kleine Lokomotive, Mickey Mouse oder auch mal Pikachu aus Nori, Schinken oder Käse stanzen kann. Ich hätte auch nie daran gedacht, ein Würstchen nach dem Anbraten zu halbieren, das eine Ende mehrfach anzuschneiden und das Ergebnis noch einmal zu braten nur um damit kleine „Würstchen-Oktopusse“ herzustellen. Oder das Rührei.Wussten Sie, dass wir eine Rühreipfanne haben? Jetzt wissen Sie es! Ich habe über mehrere Jahre hinweg die heilige Kunst der Frühstückseibraterei erlernt, sodass ich nun in der Lage bin ein gerührtes (nicht geschütteltes) Ei genau in dem Moment vom Feuer zu nehmen, in dem ein Teil des Eidotters noch nicht ganz gestockt ist. Ich lege viel Wert auf dieses Können. Meine Frau nicht. Sie lies Pfanne und mich links und rechts liegen und fertigte ein perfektes, flockiges und zartes Rührei kurzerhand in der Mikrowelle an, was verlangte, dass sie alle 10 Sekunden die Maschine anhielt, das Ei herausnahm und rührte und dann die Einstellung der Wattzahl korrigierte.

Insgesamt hat meine Frau für dieses Ei in etwa so viel Kraft und Zeit verbraten, wie ich für drei ganze Mahlzeiten aufgewendet hätte. Gestern konnte ich noch darüber den Kopf schütteln, doch heute muss ich darüber weinen. Was für eine Augenweide! Welch grandioser Geschmack! Meine bessere Hälfte war schon immer eine Meisterin der raffinierten Küche gewesen, aber dass war mal wieder eine Sternstunde. Mit so etwas konnte ich es doch nie und nimmer mithalten.

Und hier kommt nun schließlich und endlich mein Versagen ins Spiel, danke fürs durchhalten. Ich weiß, ich kann es auch nicht leiden, wenn Autoren so ein Mysterium aus dem Gegenstand ihres Geschreibsels machen und sich stundenlang in Ihren Gedanken verheddern.

Ich weiß nun denn, dass ich als Hausmann versagt habe. Nicht, weil ich nie Essbares zu Stande brächte sondern nur, weil ich dieser Tätigkeit ohne Hingabe nachgehe. Ich koche so, dass man davon satt wird und nicht daran stirbt. Punkt. Das muss nix aussehen. Geschmack ist auch optional. Wer ein Problem damit hat, kann ja ins Restaurant gehen, gibt ja genug hier.

Genauso halte ich es mit allen anderen Aufgaben. Wäsche wird bei mir so lange gewaschen bis sie aufhört zu stinken. Weichspüler lehne ich schon aus Prinzip ab. Wer harte Unterhemden aufträgt spart sich schließlich das Peeling. Spüle und Herd unterziehe ich erst dann einer ausgiebigen Reinigung wenn die Kakerlaken im Ausguss eine konstitutionelle Monarchie ausrufen. Der Boden gilt bei mir erst dann als schmutzig wenn er so klebrig geworden ist, dass es einem beim Laufen buchstäblich die Socken auszieht. Nur beim Geschirr spülen. Da bin ich penibel. Erst wenn der Tee beim aufgießen schäumt und nach Pril schmeckt, bin ich mit dem Resultat zufrieden.

Nun, da ich vor diesen Köstlichkeiten sitze, erinnere ich mich an das Bild der perfekten Hausfrau. Etwas, dass es in Deutschland schon aus Emanzipationsgründen nicht mehr geben darf, in Japan aber noch immer in jedem zweiten Werbespot propagiert wird. Das ist das Bild des stets lachenden, immergrünen Heimchens, dass um 5 aufsteht um das Frühstück zu machen. Die Kinder in die Schule fährt und nachmittags in den Sport, dazwischen den Hausputz erledigt und einen Kuchen bäckt. Vor dem Abendessen noch Zeit findet den Garten zu verschönern. Dann ein 3-Gänge Menü auftischt. Wohlgemerkt nur für die Kinder. Mann kommt ja erst um 10 oder 11 nach Hause und verlangt seine eigene Nahrung. Eben dieser Mann wird dann auch noch genauso frisch und fröhlich empfangen wie er am morgen verabschiedet wurde und während er schmatzend sein Essen genießt und eine schwachsinnige Talkshow guckt, sitzt sie mit durchgestrecktem Rücken neben ihm, verliert sich verklärt lächelnd in seinem Anblick und schenkt ihm regelmäßig sein Bier nach.

Das ist jetzt wie gesagt das Bild der Werbung. Ich habe keine Ahnung, ob irgendjemand in Japan wirklich dieses Leben führt. Ich hoffe nicht.

Aber selbst wenn man mal diese kunstvolle Horrorvision eines fleischgewordenen Haushaltsroboters außer acht lässt. Haushalten heißt mehr als Kochen, Putzen und Kinder zu baden ohne sie dabei zu ertränken. Jaja, es heißt einen Ort der Ruhe und Geborgenheit zu schaffen. Einen mühevollen Tag mit etwas schönem zu beenden. Und da spielt gutes Essen eine entscheidende Rolle. Und ich will doch auch, dass sich meine Frau und mein Sohn sich wohl fühlen, wenn Sie heimkommen. Ich will, dass sie sich entspannen können und es genießen hier zusammen zu sein. Gut, noch ist mein Sohn in dem Alter, wo er einfach froh ist, wenn Mama und Papa im gleichen Raum mit ihm sind aber bald schon wird unser Zuhause ihn prägen und darüber entscheiden, ob er gerne mit uns zusammen ist oder lieber an jedem anderen Ort sein möchte als hier. Und meine Frau? Nie hat sie kulinarische Stimmungsaufheller mehr gebraucht denn jetzt, wo sie vor lauter Arbeit nicht mehr gerade aus gucken kann. Für Filme, Bücher und Ausgehen hat sie fast keine Zeit aber Essen muss sieja. Das sieht sogar ihr Chef ein. Welchen Weg könnte also meine Liebe gehen denn durch ihren Magen?

Ich bin der Hausmann dieser Familie. Das sage ich selbst von mir. Ich will es auch sein. Und doch habe ich nie einen Sinn darin gesehen mehr zu tun als unbedingt nötig. Wenn ich etwas leisten wollte in meinem Leben, so doch in einem Beruf der Geld bringt und/oder in diesen meinen künstlerischen Ambitionen (eines schönen Tages einmal…). Wie wichtig Details bei der Heimarbeit sein können, darüber habe ich nie nachgedacht. Wie schnell aus einem normalen Mahl ein malerisches Denkmahl werden kann, zeigen mir erst diese fünf Keramikschalen hier vor mir.

Gut, ich will es versuchen. ABER mit europäischen Einschüben. Soviel kulturelle Infiltration muss sein! Klar koche ich diese gemischten Gemüsepfannen mit den scharfen chinesischen Soßen aber auch Kürbissuppe. Nie war ich näher am Heimatort des Hokkaidokürbis, dass muss man ausnutzen.

Selbst verständlich erlerne ich die Methode Fleisch scharf anzubraten und dann bei 60 Grad zu dämpfen sodass es vor Zartheit beim Essen Gefahr läuft von den Gabelzinken zu tropfen. Ich werde aber auch so dermaßen ungarischen Gulasch kochen, dass wir unsere Toilette mit Brandschutztüren ausstatten müssen. Auch unser Sohn verlangt jetzt bereits aus eigenem Antrieb morgens Reis mit Nato essen zu dürfen. Es vergeht aber keine Woche in der er und ich unsere Köpfe nicht in einem Trog Tomatensoßetriefender Nudeln versenken. ohne Besteck! Dann fühl ich mich hinterher beim Putzen wenigstens wie ein Tatortreiniger.

So will ich es denn machen, meine gnadenlosen Keramikschälchen, für heute mögt ihr mich Versager schellten aber morgen schon tragt ihr meinen Sieg. Und dampfen werdet ihr dabei!

Deprecated Houseguy

Out, oh house!

Das macht doch sonst bestimmt keiner!“ ruft meine Frau plötzlich. Was denn, Schatz? krächze ich von unten. Das sie stehen geblieben ist, macht es mir nicht gerade leichter, den Kinderwagen samt gewagtem Kind vor dem Absturz zu bewahren. Da ich nicht weiter kann, bis meine Frau sich ausreichend entrüstet hat um wieder gehen zu können, muss ich meine abgewetzten Gummisohlen in die Unebenheiten der aufgeplatzten Betondecke stemmen und den Wagen kurzfristig mit dem Brustkorb abstützen um so meine Arme zu entlasten, die schon seit Minuten bedenklich zittern. Nachdem ich den Buggie bereits in den zwei Meter hohen aber nur siebzig Zentimeter breiten Einstieg des prähistorischen Triebwagens der Kise-Line gehoben und wieder heraus geholt hatte, musste ich am Zielbahnhof feststellen, dass unser Gleis nur über eine sehr hohe Fußgängerbrücke mit Treppenaufgang zu verlassen war. Doch es kam noch besser. Das Autohaus, dass wir ansteuerten lag nämlich auf der anderen Seite des Gleisbettes, welches wir gerade überquert hatten. Einzige Alternative zu der bereits bezwungenen Fußgängerbrücke war, man halte sich fest, eine Fußgängerbrücke. Diesmal zwar mit Rampe aber in einem solchen Steigungswinkel, dass ich vergeblich nach Seilwinden und Zahnradspuren Ausschau hielt, in die ich mein Gefährt einklinken konnte. Kurz vor dem Zenit, fast auf Höhe einer vierspurigen Schnellstraße mit nachtschwarzem, nahtlosem Belag aus feinstem Flüsterasphalt die mit unserer Brücke parallel verbunden war, platzte dem größeren der beiden Lichter meines Lebens schließlich der Kragen: „Warum liegen Autohäuser immer so weit draußen in der Pampa? Wie zum Geier gehen Leute Autos kaufen, wenn sie kein Auto haben?“

Ich weiß nicht.“ keuche ich und spüre, wie ich mit dem rechten Fuß fast unmerklich rückwärts gleite. „Vielleicht machen die das extra so, damit man auch ja eins kauft und nicht versucht wieder mit den Öffis zurückzufahren.“„Das ist doch lächerlich.“, meine Eine schüttelt den Kopf. „Guck dir die Straße an! Mit einem Auto wären wir in 20 Minuten hier gewesen!“

Wir hatten tatsächlich schon satte 90 Minuten verheizt um die knapp 10 Kilometer ins Gewerbegebiet auf zwei herunter zu dampfen. Ich verlagere meinen Stand auf das linke Bein in dem ich einen Schritt zurück mache. Meine Rippen schmerzen unter dem Gewicht des Nachwuchsbehälters. Ich kann die Frust meiner Frau verstehen. Sie ist Tokyoerin…Tokyorin…Tokyn…To…sie kommt aus Tokyo! Und als Gebürtige dieser Megatropole ist sie es gewohnt jeden beliebigen Punkt in maximaler Geschwindigkeit erreichen zu können. Einzig bewaffnet mit einer gut aufgeladenen Geldkarte und ihrem Smartphone, dass jeden Bus, jede Metro und jeden Fernzug kennt. Dort wäre es kein Problem gewesen ein Autohaus zu finden, dass unmittelbar an einem Bahnhof mit guter Anbindung läge. Doch wer braucht schon ein Auto in Toyko? Und in Mie fährt zwar auch allerhand Gezüge, ganz zur Freude meines trainspottenden Sohnes und seines interrailenden Vaters, aber wer etwas abseits der Stadtzentren zu tun hat, ist auf gemütlich juckelnde Busse oder auf Schusters Rappen angewiesen. Fahrrad ginge natürlich auch, nur kann unser Zweijähriger noch nicht besonders gut geradeaus fahren geschweige denn auf Landstraßen ohne Seitenstreifen mit Tempo 60.

Der Schmerz in meinem Brustkorp weicht langsam einer tauben Kälte. Noch immer nimmt mich meine Frau nicht wahr. Vielleicht Absicht? Ich bin schließlich der Grund für unser Hiersein. Ich wollte ja unbedingt raus aus der Enge und Hektik der Hauptstadt. Wollte nicht mehr im Schatten dreistöckiger Highways gehen, bei jedem Schritt mit dem Kinderwagen auf Rolltreppen und Fahrstühle angewiesen sein, im Park sitzen und das Gefühl haben auf einer Insel zu hocken, die jeden Moment von Sturmwellen aus Beton und Stahl überspült wird.

Tsu entspricht dem, was ich an Urbanisierung verkraften kann. Diese Stadt erstreckt sich nicht bis zum Horizont sondern hört kurz davor wieder auf. Hier gibt es sogar Parks die keine sind sondern Wälder, die abzuholzen noch keiner Zeit gefunden hat. Der Druck in meinem Kopf ist seit unserem Umzug fast vollständig verschwunden. Doch wie geht es meiner Frau eigentlich mit der Luftveränderung? Bereits während unserer Zeit in München hatte sie fast täglich über den lahmen Stadtverkehr geklagt. Angesichts der hiesigen Verkehrslage standen wohl schlimmeres an.

Eine Profilnoppe reißt plötzlich und ohne Abschiedsbrief aus der Sole meines linken Schuhes. Dadurch wird meine Bodenhaftung soweit vermindert, dass ich meine Position nicht mehr halten kann und drohe mitsamt der Jungspundkutsche 10 Höhenmeter rückwärts auf eine Betonplatte zu zuschlittern. Die einzige Chance diese familiäre Kaskade aufzuhalten ist es, meinen Schwerpunkt zu senken und mehr Reibung zu erzeugen. Auf Deutsch: Ich lasse mich auf die Knie und Handflächen fallen und stütze den Kinderwagen jetzt mit meinem Kopf.

Physik, oh du mein Erzfeind.“ quetsche ich zwischen den Zähnen hervor. Meine Frau indes ergeht sich weiter in ihrem Ausbruch.

Weißt du, was meine Kolleginnen machen würden?“ fragt sie mich.

Was denn?“ frage ich den Boden und puste einen Schweißtropfen von meiner Nasenspitze.

Die würden einfach eine Freundin fragen. Und dann machen die sich einen schönen Nachmittag. Fahren mit ihrem roten Cabrio raus aufs Land und kaufen sich noch ein rotes Cabrio!“

Wieso? Haben die alle rote Cabrios?“„Nicht zwingend ein Cabrio aber immerhin rot muss es sein. Was weiß ich warum.“ – „Keiner hält dich davon ab, dir auch ein rotes Auto zu holen, Schatz.“„Ach nein, ich hab geguckt. Der Gebrauchthändel zu dem wir gehen hat nur Matschfarben.“„Matschrot, gibts bestimmt auch.“„Nein, es muss schon kaminrot sein. Wie ein Ferrari.“

Ach ein Ferrari, denke ich, das hätt‘ ich jetzt auch gern. Die schmecken so gut. Ne, moment, das was ich meine hieß irgendwie anders. Komisch, warum tut mein Kopf so weh? Wer drückt denn da? Ruckartig hebe den Kopf. Eine Plakette mit der Aufschrift Babydream schwebt vor meinen Augen, kommt mir plötzlich entgegen und bricht mir fast die Nase. Ach ja, der Kinderwagen. Vielleicht kann ich eine Hand erübrigen um in etwas von mir wegzuschieben. Nur so viel, dass ich wieder atmen kann. Ich gewahre mich meiner Rechte, hebe selbige vom Boden und falle der Länge nach hin. Der Kinderwagen rollt los und über mich hinweg. Instinktiv spreize ich die Beine, sodass sich die Achsen darin verkeilen. Widerwillig kommt das Gefährt wieder zum stehen, reißt aber noch links und rechts meine Hose auf und zerkratzt meine Oberschenkel. Gerettet! denke ich noch, dann schlägt etwas hart auf meinen Hinterkopf. Die Beine meines Sohnes sind genau über mir. Inzwischen schläft er und träumte offenbar von vielen zukünftigen Fußmärschen durch die Mie’schen Auen.

Schatz?“ frage ich zaghaft. Keine Antwort.

Schatz!“ schreie ich nun. Ich hebe den Kopf und kriege noch eins mit den Geox auf die Glatze. Meine zukünftige Witwe ist fort. Vollkommen richtig von ihr, schließlich wird es bald dunkel und das Autohaus macht auch irgendwann zu. Ich lege den Kopf auf den Beton. Er ist angenehm warm. Aus dem Augenwinkeln erkenne ich, dass neben bunten Kieseln auch Muschelschalen in die Masse eingemengt wurden. Ich presste mein Ohr auf die Fläche und: Tatsächlich. Meeresrauschen! Fast wie Autos, die über eine Brücke donnern. Wie versöhnlich.

Sorgen um mein Kind mache ich mir keine. Bevor es wieder erwacht wird gewiss die Bergwacht aufkreuzen und es mitnehmen. Ich hoffe sie lassen mich und den Kinderwagen hier. Gibt bestimmt ein interessantes Bild und es könnte künftigen Generationen als Warnung dienen:

Achtung! Gehe nie zu Fuß zum Autokauf!

Out, oh house!

Das Ding

Ding

Wie bereits in Deudok, Daube & Dett beschrieben bringt der geistige Austausch mit meinem multilingualen Sohn einige Tücken mit sich. Die wahre Herausforderung meines Alltags liegt jedoch in einem Gespräch mit meiner Frau. Ich beherrsche die japanische Sprache nach wie vor nur sehr bruchstückhaft, bin in ihr alles andere als alltagstauglich und darauf angewiesen, dass meine Frau ihre Anliegen an mich stets in Englisch oder Deutsch vorbringt. Das tut sie mit Bravur, wenn man Grammatik, Syntax und Aussprache betrachtet, doch mangelt es ihren Sätzen des öfteren an einer gewissen Konkretheit…Konkretness…Concretness…Gegenständlichkeit, ja, das passt besser! Ich fang nochmal an: Es mangelt ihren Sätzen des öfteren an einer gewissen Gegenständlichkeit, was sie auf die Besonderheit ihrer Muttersprache zurückführt, aus der sie ja in realtime übersetzen muss. Namen und Personalpronomina werden im Japanischen offenbar nur gebraucht, wenn der Gesprächspartner die Identität der Sub- oder Objekte noch nicht kennt. Eine Übersetzung einer einfachen Vorstellung könnte beispielsweise so lauten:

Schön Sie kennen zu lernen.

Der Name ist Frederik Rothklotzer.

Bin Deutscher.

Komme aus Wiesbaden.

Lebe in Tsu, Mie, Japan.

Bitte seien sie nett zu mir.

Klingt eigentlich ganz kuhl, nicht war? Ich muss immer an einen knurrigen Westernhelden Marke Lonesome Cowboy denken, wenn ich mich jemandem vorstelle. Ich sollte mir einen Poncho zulegen…

Wie dem auch sei. Im Gespräch mit meiner Frau entwickelt sich das Weglassen der Namen zu einem großen Verständnisproblem. Vielleicht irre ich mich aber auch und es hat nichts mit der Sprache zu tun. Vielleicht ist es auch ein Genderproblem. Oder ich bin einfach zu doof.

Was auch immer die Ursache ist, die Symptome seien im folgenden Gedächtnisprotokoll wiedergegeben.

Wie so oft sitze ich an meinem Computer und versuche geringst mögliche Produktivität hinter dem Ausdruck konzentrierten Arbeitens zu verbergen als meine Frau aus dem ersten Stock nach mir ruft.

Es handelt sich hierbei um ein weltweit durchgeführtes, religionsübergreifendes Ritual zwischen ehelichen Partnern. Die Frau geht dabei zunächst auf größtmögliche Distanz zu ihrem Mann ohne das Haus zu verlassen. Dann ruft sie wiederholt seinen Namen, wobei Lautstärke und Grad der Gereiztheit pro Anrufung überproportional zunimmt. Der Mann seinerseits hat seine Frau in der Regel schon beim ersten mal gehört und pflichtbewusst mit „Ja?“ geantwortet. Es ist jedoch vollkommen egal wie laut und vernehmlich seine Stimme ist. Erst wenn er aufgestanden und die Distanz zu seiner Frau signifikant verkürzt hat (sie darf ihm dabei keinesfalls entgegenkommen, der Arsch soll sich auch mal bewegen) wird sie ihn gleichermaßen wahrnehmen und sich zunächst darüber brüskieren, dass er nie zuhöre.

Einige dutzend Entschuldigungen seitens des Männchens später darf dieser endlich fragen, warum er sich habe untertänigst einfinden sollen. Sie wird dann zu einer möglichst wortreichen Erklärung der Situation ansetzen, wobei ihre Sprache immer leiser und undeutlicher wird, sodass der Mann nun auch noch die übrige Distanz (in der Regel befindet sich die Frau im obersten Stockwerk des Hauses, der Mann bis dato im untersten) überbrücken muss. Schweißgebadet und endlich bei seiner Geliebten angekommen erfährt der genetisch benachteiligte Partner, SIE habe lediglich eine Packung Reißzwecken haben wollen und er hätte sie bei seinem Aufstieg eigentlich gleich aus dem Keller mitbringen können. Jetzt müsse er nochmal laufen. Und die Bilder könne er dann auch gleich noch selber aufhängen. Es könne ja nicht sein, dass sie immer für ihn den Kuli geben muss. Es ist übrigens zur Durchführung der Performance nicht zwingend erforderlich, dass die Frau den aktiven und der Mann den passiven Part übernimmt. Wir leben schließlich in modernen Zeiten. Ob dieses Ritual auch von gleichgeschlechtlichen Paaren praktiziert wird, weiß ich leider nicht. Ich hoffe doch aber sehr, es würde ihnen sonst etwas fehlen.

Bislang war es meiner Frau und mir nicht vergönnt diesem schönen Brauch zu frönen. Unsere letzte Wohnung war so klein, dass sie sich unmöglich außer Hör- und Sichtweite von mir aufhalten konnte. Selbst wenn wir nur von einander dachten, konnten wir uns stets laut und deutlich verstehen. Auch gab es keine Stockwerke zwischen uns. Erst unsere jetzige Wohnung kommt den Ansprüchen der Tradition gerecht und wir sind eifrig damit beschäftigt, verlorene Zeit aufzuholen. Doch zurück zur Situation.

Fred“ ruft sie.

Ja?“ antworte ich.

Es folgt Stille. Ich warte noch einen Moment, dann stehe ich auf und gehe bis zum Fuß unserer Treppe. „Schatz, hast du mich gerufen?“

Was?“ ertönt es von oben.

Ob du mich gerufen hast.“„Ähhhhh…ja.“

Ich warte erneut.

Und?“„Und was?“„Was möchtest du haben oder wissen?“„Hast du den…“

Geduld ist die Basis unserer Ehe.

Hast du das Ding?“„Welches Ding?“ – „Das Ding von dem…du weißt schon.“ – „Nein, weiß ich nicht?“„Na, von dem wo du warst.“„Wo war ich wann?“„Als du das letzte mal dort warst.“„Ich war also da, als ich da war. Wo war ich denn? Und wann?“„Weißt du das nicht mehr?“„Ich weiß noch nicht mal wovon du redest.“„Mann, denk doch mal nach.“„Schatz. Zeit, Ort oder Gegenstand. Eines von den dreien musst du mir sagen, sonst kann ich nicht wissen, worum es geht.“„Hach!“

Sie ist hörbar über meine mangelnde Kooperation verärgert. Ich versuche ihr entgegenzukommen.

Mal der Reihe nach: Um was für ein Ding geht es?“„Das Ding, dass die dir da gegeben haben.“„Wer hat mir was gegeben?“„Die Leute, die da arbeiten.“„Aha, wo arbeiten die denn?“„Na, auf dem Fest.“„Gut, jetzt wissen wir schon, dass es ein Fest war. Wie hieß es denn?“„Hast du das etwa alles vergessen?“„Ich habe in meinem Leben viele Feste besucht und Dinge von Leuten erstanden die dort arbeiteten. Sag mir einfach den Namen, den Rest schaff ich bestimmt selbst…Schatz?“

Erneut diese Stille. Diese unendliche Stille in der man nichts hören kann als das leise Abblättern der Goldfarbe von meinem Ehering.

Schatz,“ ruf ich verzeifelt „welches Fest?“„Ach vergiss es.“„Nein, Schatz, wir habens doch gleich geschafft. Sag mir einfach den Namen!“„Ich bin traurig, Fred.“„Aber warum denn? Hier steh ich. Ich konzentriere mich mit aller Macht darauf herauszufinden, ob ich das Ding habe, dass du suchst. Wie sonst könnte ich dir meine Liebe beweisen?“„Manchmal glaub ich, du nimmst nichts von dem wahr, was mir wichtig ist.“„Das stimmt nicht, Schatz. Unser Hochzeitstag ist am 30. März. Dein Geburtstag ist am 1. Oktober. Wie viele Männer können das so, wie aus der Pistole geschossen, aufsagen?“„Mein Geburtstag ist am 30. März und der Hochzeitstag ist am 1. Oktober!“„Upps!“„Fred, hast du das Ding jetzt oder nicht?“

Es war Zeit für eine Verzweiflungstat.

Na schön, ich hab es.“„Dann bring es mir bitte, ich brauch es jetzt!“„Geht nicht.“„Warum nicht?“ „Ich habs ausgeliehen.“„Was? Wem?“„Na, dem Bums.“„Wer ist denn das?“„Den kennst du nicht? Der war doch mit der einen auf der Party von deiner Freundin.“„Wann war das?“„Anfang-Mitte des Jahres.“„Und dem leihst du einfach unsere Sachen?“„Ne, eigentlich nicht ihm direkt sondern seinem Vetter. Der hat so’n Laden an der einen Straße, weiß nicht mehr wie die hieß.“ „Hm, und wann bringt er es wieder zurück?“„Wenn er fertig ist. Hat gemeint, es dauert nicht lang.“„Ich brauch es dann aber gleich, ok? Nicht, dass es wieder verloren geht.“„Schatz, verlass dich drauf. Ich weiß immer wo unsere Sachen sind.“

Sie nuschelte noch etwas und geht zurück in Ihr Arbeitszimmer. Auch ich schleiche zurück an meinem Computer. Der Vetter von Bums hat mir einige Tage Zeit verschafft. Die Chancen stehen gut, dass meine Frau den ominösen Gegenstand bis dahin selbst findet oder vergisst.

Vielleicht weiß sie aber auch selbst nicht so genau, was das Ding eigentlich sein soll.

Das Ding

Deudok, Daube & Dett

DeudokDaubeDett

Eigentlich sollte mein Söhnchen nur zwei Sprachen lernen. Japanisch von seiner Mutter. Deutsch von mir. Da meine Frau und ich Englisch miteinander sprechen, bekommt er diese Sprache auch irgendwie mit. Zumindest begreift er, dass es so etwas wie eine „Geheimsprache“ gibt, mit denen die Altvorderen immer reden. Und da er sicher sein kann, nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen wenn er Englisch hört, bricht spätestens nach 10 Sekunden der Anglophonie ein jugendlicher Protest aus.

Aber es gibt noch eine Sprache, der er mächtig ist. Nämlich seine eigene, die ich in Anlehnung an sein erstes „Wort“ „Ho!“ genannt habe. Signifikant für „Ho!“ ist die Tatsache, dass weder meine Frau, noch ich, noch sonst irgendjemand den wir kennen sie versteht. Bislang war das auch kein Problem. Bei jedweder Äußerung, die sich unseres Verständnisses entzog konnten wir einfach mit „Aber ja.“ oder „Da hast du bestimmt recht.“ antworten und eifrig nicken. Doch nun, da er mit ersten vollständigen Sätzen experimentiert, sind auch seine Ansprüche an die Interkommunikation gestiegen. Bloße Bestätigung, dass ich seine Sprechversuche bemerkt habe, reicht ihm nicht mehr. Er will jetzt, dass ich bestimmte Dinge für Ihn erledige oder differenzierte Antworten gebe. Und wenn das nicht rasch eintritt, treibe ich mein Kind ungewollt in eine tränengelöste Verzweiflung. Im folgenden habe ich eine unserer jüngeren Gespräche aus dem Gedächtnis protokolliert. Ich bin mir sicher, dass es besonders für Sprachforscher ein interessantes Dokument sein könnte.

Das Kind fragt:

Papa?“

Ich antworte:

Ja?“„Papa, mhm.“„Was denn?“„Mhm, dh, dh!“„Dh, dh?“„Dh. Dh. Dasi?“„Dasi?“

Das Kind nickt.

Hm?“

Ich überlege.

Du meinst: >>Das hier?<< Im Sinne von: >>Was ist das hier?<<“„Dasi? Mh…“„Was meinst du denn? Deut mal drauf.“„Dasi. Dh, gooß.“„Gooß?. Du meinst etwas großes?“„Dhdh, gooß. Dasi?“„Äh.“„Papa?“

Ich schüttele entschuldigend den Kopf

Ich weiß immer noch nicht was du meinst.“

Das Kind schüttelt ebenfalls den Kopf, zutiefst betroffen über Dummheit des Vaters. Dieser versucht zu helfen.

Jetzt deut doch mal drauf.“

Das will das Kind aber nicht. Das Kind will erklären. Wozu lernt man Sprechen, wenn man dann dauernd mit den Pfoten fuchteln soll als wäre man noch ein Jahr alt?

Dh. Dh gooß gabudn nnnh. Bwwwwwww.“„Was Großes das „bwwwww“ macht!?“

Das Kind korrigiert mich weil ich es nicht richtig ausgesprochen habe.

Papa, bwwwwwww!“„Bwwwwww, ja. Ähm. Klingt wie ein Motor. Irgend eine Maschine?“

Das Kind resumiert.

Michine.“„Eine Maschine. Meinst du eine Maschine?“

Das Kind nickt andächtig.

Gooße Michine.“„Große Maschine, ja?“„Ja?“

Ich begreife nun, dass ich schnell die Art der Maschine ermitteln muss um eine Katastrophe abzuwenden.

OK, schauen wir doch mal im Lexikon nach.“

Ich hole das Bilderbuch. Kein albernes, von einem zweitklassigen Illustrator verbrochenes Werk über Hündchen und Blümchen, nein. Ein Bilderbuch von DUDEN mit Fotografien von Affe bis Zahnpasta. Ich blättere.

…Einkauf, Garten, Haushalt, ah, Fahrzeuge. Sohn, setze er sich zu mir!“

Das Kind setzt sich auf ein väterliches Knie. Ich deute auf eine Fotografie.

Meinst du einen Bagger?“„Bagga.“„Ja?“„Nein.“„Nein, gut. Weiter.“„Weita.“„Meinst du ein Auto?“„Nein.“

Erneutes Blättern.

Ein Schiff?“„Diff. Nein. Gein Diff.“ – „Kein Diff also. Einen Zug?“

Man ist begeistert. Dieses Kind liebt einfach Züge.

Duk! Duk!“

Ich kann aufatmen.

Also ein Zug. Und der macht >>bwwwww<<?

Das Kind erinnert sich seiner Aufgabe.

Bwwwww, nein. Duk, nein!“„Doch nicht der Zug?“

Das Kind ergreift ungeduldig eine Seite. Anstelle umzublättern reist es sie fast ab.

Nein, weita!“„Hey, hey, hey, hey! Sohnemann. Vorsichtig!“

Ernüchtert blättere ich weiter. Plötzlich deutet das Kind wie wild auf eine Seite.

Dh! Dh! Dasi!“„Das da? Ein Flugzeug?“„Fl-deug!“„Flug-zeug.“„Deudok.“„Nein, nicht Deudok. Flugzeug!“„Deudok.“„Na schön, Deudok.“„Deudok, bwwwwwww!“

Ich bin zufrieden. Die gesuchte Michine stellt sich als ein Deudok heraus. Das Unheil scheint abgewendet. Doch die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt. Der neu kennengelernte Gegenstand muss nun auf seine Bestandteile hin untersucht werden. Schon deutet das Kind auf die Nase des Flugzeugs.

Papa? Dasi?“„Das ist das Cockpit.“„Hm…“„OK, dass ist vielleicht noch zu schwer zum aussprechen…“„Cock-Titt. Papa? Cock-Titt?“„Cock-PIT“„Cock-Titt.“

In solchen Momenten sollte man dankbar sein, keine englischen Muttersprachler in der Familie zu haben. Doch schon geht es weiter.

Papa? Dasi?“„Turbinen.“„Bienen.“

Es ist Zeit, den erzieherischen Anspruch zu drosseln.

Oder so.“„Bienen. Itetetete…“

>>itai<< oder >>ite<< ist eine japanische Schmerzbekundung. Manchmal spricht mein Sohn etwas zunächst japanisch aus, korrigiert sich aber nach einer Weile selbst, da Papa offenbar nur auf Deutsch zu reagieren scheint.

Papa? Au au au. Bienen!“„Ja, aua aua. Die sind ganz heiß die Turbinen.“

Das Kind ist überrascht und empört zugleich.

Heiß! Eh, Bienen, heiß!“„Ja…“ „Kamman wehtun, Feuer!“„Was?“

Er versteht es doch stehts mich mit plötzlichen Sätzen zu überraschen.

Kamman wehtun, Feuer!“„Genau. An den Turbinen kann man sich wehtun.“„Kamman, mhm, kamman…“„Ganz ruhig. Lass dir Zeit“„Mhm, kamman wehtun, Feuer, Bienen.“„Feuerbienen?“„Kamman wehtun, Feuerbienen.“„Ich bin mir sicher, man kann sich auch an Feuerbienen wehtun.“

Soweit so gut. Cock-Titt, Feuerbienen. Alles leicht zu erklären. Nun deutet er jedoch auf einen gänzlich unbestimmten Punkt des Flugzeugs.

Papa? Daube dett!“

Diesmal steige ich komplett aus.

Was?“„Daube dett!“„Daube dett?“„Dau! Be! Dett!“

Ich bemerke die drohende Gefahr.

Was ist Daubedett? Der Flugzeugbauch?“„Papa! Papa! Daubedett!“„Auf was deutest du denn? Die Räder? Das Logo der Airline?“„Deudok. Deudok Daube dett!“„Flügel, Fenster, Farblack, Fahrwerk, Frachtraum, Kind ich weiß es doch nicht.“„Deudok Daube dett! DEUDOK DAUBE DETT!!! WAAAAAAH…“

Jeder weitere Deutungsversuch meinerseits geht in der lautstark zum Ausdruck gebrachten Enttäuschung des Kindes über das geistige Unvermögen seines Erzeugers kläglich unter. 25 Minuten später sitzt der Nachwuchs, mit trocknenden Tränenstreifen auf den Wangen, sichtlich unbekümmert im Nebenzimmer und liest sich selbst aus einem Buch über Raupen mit Essstörung vor. Verängstigt und um den Großteil meiner Hörfähigkeit beraubt harre ich in der Küche und umklammere zitternd eine Tasse Tee. Was der Sohn da vorliest verstehe ich nicht. Und bald wird er wieder nach mir rufen, weil er wieder etwas lernen will. Und ich weiß immer noch nicht was „Daube dett!“ heißt.

Deudok, Daube & Dett

Tennisplatz der Verdammten

TennisplatzDesGrauens

In Sichtweite unseres Hauses, auf der anderen Seite des Spielplatzes liegt eine Schule. Anstelle eines Pausenhofs verfügt diese Schule über zwei gut ausgestattete Sportplätze. Einer für Fußball, Baseball und olympische Disziplinen, der andere für Tennis.

Der Tennisplatz ist dem Spielplatz nah, dass mein Sohn regelmäßig am Maschendraht hängen bleibt und versucht einen Ball durch den Zaun zu greifen. Am liebsten täte er mitspielen und nur zu gerne würde ich ihn lassen. Doch es gibt zwei Probleme: Zum einen mache ich mir Sorgen, dass er noch nicht ganz in der Lage sein könnte den angeschnittenen Schmetterball eines Jugendlichen zu blocken, der fünf mal so schwer und acht mal so alt ist wie er. Zum anderen habe ich auf diesem Sportfeld noch nie eine Aufsichtskraft gesehen.

Man möge mich nicht falsch verstehen. Es ist nicht die Sorge, diese transpirierenden Hoffnungsträger könnte plötzlich animalische Triebe entwickeln, sobald wir uns ihnen näherten. Ganz im Gegenteil. Ich bin mehr darüber erstaunt, dass ganze Dutzendschaften von Teenagern in identischen Adidas-Trainingskombis tagtäglich dort aufkreuzen, Sand auf den Tartan streuen, walzen, Netze spannen, dann konzentriert 90 Minuten in wechselnder Folge die Bälle schlagen und am Schluss brav alle Geräte wieder im Schuppen verstauen, kehren und die Anlage abschließen. Alles selbstständig!

Zunächst dachte ich, ich wäre wieder der japanischen Altersillusion aufgesessen. Nicht selten kommt es vor, dass ich eine Mutter (48) und ihre Tochter (16) für Schwestern halte. Merke: Das wahre Geheimnis für ewig straffe Haut liegt weder in Q10, noch in Aloe Vera, geschweige denn in der Genforschung. Es ist schlicht und ergreifen eine Ernährung aus 70 Prozent Reis, 25 Prozent Gemüse und 5 Prozent Tofu, vielleicht auch einen Fisch. IMMER! Nix mit Frühstücksflocken und Schokoriegeln, das glaub man!

Aber ich schweife schon wieder ab. Leute, ihr müsst mich echt bremsen, sonst erzähl ich alles immer quer. Wo war ich? Ach richtig, die Altersillusion.

Es wäre zumindest möglich, dass alle Sportlehrer dieser Schule maximal 1,50m groß sind und auch ansonsten genauso aussehen wie ihre Schüler. Aber in diesem Fall beschleicht mich doch der dringende Verdacht, dass die Autoritäten es tatsächlich geschafft haben, ihre Schützlinge zur autarken Leibesertüchtigung zu nötigen.

Und wieder dräut das Missverständnis. Ich finde Tennis auch kuhl. Das Sportangebot dieser Schule ist überragend. Ich hätte als Jungspund wer weiß was getan um auf solchen Plätzen rumhopsen zu dürfen. Und trotzdem hätte ich Mist gebaut. Wäre zu spät gekommen oder hätte nur auf der Bank rumgehangen und so getan als wäre die Balldose eine Packung Pringles. Hätte vergessen hinterher zu kehren oder abzuschließen. Hätte Bälle mit Absicht über den Zaun in die Wohnanlage gefeuert und dann behauptet ein Breitmaulfrosch hätte sie gefressen. Kurz: Ich hätte mich als nicht vertrauenswürdig erwiesen und wäre damit bestimmt nicht alleine gewesen…

…in Deutschland…

…ist das schon wieder so ein Kulturdingens, dass ich nur glaube, Jugendliche müssten so sein wie sie es in meinem bisherigen sozialen Umfeld waren und sind? Geht es wirklich anders? Hat diese Schule tatsächlich des Rätsels Lösung gefunden, wie man wandelnde Hormonpumpen dazu bringt, genau das zu tun was man Ihnen aufgetragen hat und sonst nichts?

Ich habe mir angewöhnt nur noch mit steifer Halskrause an der Anlage vorbeizugehen, da ich sonst Gefahr laufe ob des surrealen Anblicks der Schüler so dermaßen den Kopf zu schütteln, dass mein Hirnwasser schaumig schlägt. Neulich haben zwei Klassen gleichzeitig trainiert. Die Jungs links, die Mädchen rechts. Über zwei Stunden lang hat niemand aus der einen Gruppe auch nur zur anderen herüber gesehen. Es war gespenstisch.

Ich weiß also nicht, ob ich begeistert sein soll oder verängstigt. Ist der Tennisplatz von Tsu-Shimmachi das Paradebeispiel für ein hochmodernes Erziehungswesen oder sollten die Wasserspender der Schule einmal auf die Beimischung von Psychopharmaka untersucht werden? Bis ich die Antwort kenne, muss mein Sohn weiterhin Zaungast spielen.

Ich aber werde meine Augen offen halten…

Tennisplatz der Verdammten